Gratis-Mentalität

Eine Frage: Wann haben Sie zuletzt etwas im Internet herausgesucht? Eine Anleitung, eine Information, einen Podcast, eine Sendung? Und wurden Sie fündig, war es das, was Sie gesucht hatten?

Noch eine Frage: Was haben Sie dem Verfasser* für seine hilfreiche Arbeit bezahlt? Aha …

Ich denke oft darüber nach, was dieses „es ist ja alles einfach im Netz zu finden“ mit uns macht. Natürlich bin ich selbst nicht frei von Schuld, definitiv nicht! Was ich alleine an Lehrreichem und Anleitungen für Näh- und anderen Handarbeits-Kram aus dem Netz gezogen habe!

Aber: Jemand hat sich die Arbeit gemacht, einen Text zu verfassen oder ein Video zu erstellen, hat dabei fotografiert/gefilmt, alles aufbereitet und ins Netz gestellt. Das allein wäre schon eine Anerkennung wert.

Mir persönlich fällt es allerdings besonders bei der Musik auf: Wann habe ich zuletzt Musik gekauft? Zum Beispiel Musik für meine Sportstunden? Im Netz finde ich doch alles, was ich brauche? Musik auf einem Tonträger – gibt es das überhaupt noch? Ich bin in den 1970er Jahren geboren und ein echtes Kind der 80er – ich bin mit Vinyl großgeworden und habe die CD-Ära miterlebt. Rein in den Laden, das begehrte Objekt in die Hände nehmen, zur Kasse und bezahlen. Ganz normal. Ohne Bezahlung keine Musik. (Was davon dann letztlich bei den Künstlern ankam, ist noch einmal eine andere Baustelle.)

Und heute? Während ich diesen Blogartikel schreibe, läuft in einem anderen Browsertab Meditationsmusik – ein dreistündiges Video, das jemand live eingespielt hat. Dafür bezahle ich …. nichts. Jedenfalls kein Geld im klassischen Sinn.

Oder nehmen Sie die tausendfachen Sportvideos auf Youtube. Warum sollte man bei einem Anbieter in dessen Online-Shop für ein entsprechendes Video bezahlen? Meine Lieblings-Youtube-Trainerin (nein, nicht Frau R.!!) veröffentlicht jede Woche mindestens ein neues Video. Es ist überbordend genug da!

In meiner Selbständigen-Bubble ist das immer wieder ein Thema: Es werden kostenlose Inhalte („Freebies“) gerne angenommen, aber die kleinen Bezahl-Angebote – und ich rede hier von einem Preisrahmen von unter zehn Euro – och nö, so wichtig ist es dann doch nicht.
Andererseits müssen wir zu einem gewissen Grad mitmachen. Nur mit solchem Content haben wir überhaupt die Möglichkeit, sichtbar zu werden und wahrgenommen zu werden.
Jeder von uns muss hier für sich selbst rausfinden, wie weit er dieses Spiel mitspielt. Ich habe für mich meine Grenze gefunden. Es gibt genug kostenfreie Inhalte von mir im Netz und wer für mehr Wissen von mir nichts bezahlen möchte, darf gerne woanders gucken.

Wo hat das angefangen, diese Gratis-Mentalität, die wir oft gar nicht als solche wahrnehmen? Ich glaube, in dem Moment, als wir nicht mehr physisch mit Geld für etwas bezahlen mussten. Als das Netz größer und umfangreicher wurde und plötzlich jeder seinen Content da reinstellen konnte. Wir bezahlen mit unserer E-Mail-Adresse, mit unseren Daten im Netz – und das ist etwas, das wir nicht bemerken. Aber mit einer (fremden) E-Mail-Adresse kann ich halt auch nicht den Wocheneinkauf bezahlen.

Es gibt da durchaus diese Möglichkeit „einen virtuellen Kaffee zu spendieren“ oder anderweitig mit einem Obolus Danke zu sagen – und viele tun das sogar. Wenigstens eine kleine Anerkennung. Aber eben nur punktuell.

Wie alt ist das Internet jetzt? 25, 30 Jahre? Warum gibt es nicht schon längst eine übergreifende Möglichkeit, für Inhalte zu bezahlen? Meinetwegen mit einem Prepaid-Guthaben. „Möchten Sie für diesen Inhalt eine Gegenleistung geben? Wieviel? 10 Cent, 50 Cent, ein Euro?“ Sowas in der Art.

Damit hätte sich vielleicht auch der gedankenlose Klau von Bildern, Texten & Co. erledigt. „Ich brauche ein lustiges Bild für einen Geburtstagsgruß …“ – scroll, scroll, ach, hihi, das da ist witzig – das nehme ich!“ Aber wer hat es erstellt? Hat derjenige der Nutzung und Verbreitung überhaupt zugestimmt? Wird bei der Weiterverbreitung der Urheber genannt? Ein einziges Bild verbreitet sich vielleicht hundertfach via WhatsApp – einfach weil es irgendwo im Netz ist und kopiert werden kann. Kopiert im technisch einfachen Sinn von „Grafik kopieren / Grafik einfügen“, ne. „Halt, Sie nutzen gerade die Arbeit und das Können von jemand anderem. Wollen Sie sich dafür erkenntlich zeigen? Sie haben noch … Guthaben auf Ihrem Prepaid-Konto.“
Sie erkennen, worauf ich hinaus möchte.

Das Ding ist: Dieses Gratis-Denken greift immer mehr auf andere Bereiche über. Als Beispiel möchte ich mal die ausführliche Beratung in einem ordentlichen Fachgeschäft nennen, um dann doch via Internet zu kaufen. Weil es da dann halt zehn Euro billiger ist – und es wird sogar noch nach Hause gebracht. (Auch das sind übrigens Arbeiten, die wir oft nicht sehen.)
Oder noch ein Beispiel: Ein kleines Unternehmen vertreibt über seinen Online-Shop Postkarten etc. „Ach, die ist ja hübsch. Aber bis ich die jetzt da im 10er-Pack bestellt habe … ich kann ja einfach die Bildvorschau speichern und das dann selber ausdrucken.“ (Oder aber: Och nööö, da ist ja ein Wasserzeichen drin, ich guck woanders … Je nu, ne?)

Was sind denn so Ihre Gedanken dazu?

Ihre Frau Dancer


* Ich bin sehr für das Gendern, weigere mich aber, in meinem privaten Blog den Textfluss zu stören.

Eine Antwort zu „Gratis-Mentalität”.

  1. Avatar von Exilholsteiner

    Zunächst einmal bleibe ich mal beim Du, weil ich Dich von Mastodon kenne. Da ist das „Du“ üblich, und etwas in mir sträubt sich dagegen, eine Person mal zu duzen und mal zu siezen 😉

    Die Gedankengänge kann ich durchaus nachvollziehen. In den Beispielen wird die Arbeit und Mühe, die sich einige Menschen machen, von anderen schamlos ausgenutzt.

    Ich halte es aber für nicht richtig, das unter dem Schlagwort „Gratis-Mentalität“ zu diskutieren. Das Ausnutzen und Ausbeuten anderer Menschen und rücksichtsloser Egoismus ist wohl eher das, was einen hier auf die Palme bringt.

    Gesellschaftlich sehe ich nämlich eher den gegenteiligen Trend. Es werden immer mehr Bereiche kommerzialisiert, die früher der Staat und die Gemeinden den Bürgern kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Ein aktuelles Beispiel ist das Bildungswesen. Die öffentlichen Schulen sind seit Jahrzehnten unterfinanziert und verkommen, obwohl sie immer schwierigere Aufgaben. namentlich die Integration sehr vieler Kinder, die kaum oder gar kein Wort Deutsch sprechen. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass auch Kinder aus bettelarmen Familien, Anspruch auf eine kostenlose Schul- und, bei entsprechender Leistung und Begabung, Hochschulausbildung haben sollen. Sie sind gegenüber Kindern aus reichen Elternhäusern schon benachteiligt genug und sollen so wenigstens überhaupt eine Chance erhalten, etwas aus ihrem Leben zu machen.

    Wo Du speziell das Urheberrecht angesprochen hast: Es hat mit einer fairen Entlohnung der Kreativen nichts mehr zu tun, wenn ein Konzern im 21. Jahrhundert bei Leuten abkassiert, die öffentlich ein Lied singen, das im 19. Jahrhundert komponiert wurde – so geschehen im Falle des Liedes „Happy Borthday To You“, das 1893 geschrieben wurde und dessen Urheberrecht Ende 2015, 70 Jahre nach dem Tod der letzten Miturheberin, erlosch. Ich bin aber kein Gegner des Urheberrechts. Im Gegenteil, ich möchte nicht, Konzerne, die ich für bösartig halte, an von mir im Internet veröffentlichten Werken Geld verdienen, habe aber nichts gegen eine komplett nichtkommerzielle Nutzung durch andere. Ich gebe durchaus gern, möchte aber nicht ausgenutzt und ausgebeutet werden.

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